Freitag, 12. April 2024

Kaffeevollzeitbeschäftigungsautomat

 Manchmal wollen mich Menschen treffen. Dies tun sie auf verschiedene Arten kund, und manchmal muss ich mich zur Räsong und mir in Erinnerung rufen, dass die Art, wie sie das tun, nichts damit zu tun hat, wie gut sie mich kennen oder wie sehr sie mich mögen. Menschen sagen „Später Bierchen?“ oder „Next Mittwoch Chillinger?“ oder „Am Wochenende Ausflug?“ oder „Morgen auch bei der Eröffnung von Dingens?“ Manche sagen aber „Wollen wir uns die Tage mal auf einen Kaffee treffen?“ und dann bin ich oft froh, wenn die Frage schriftlich gestellt worden ist oder wenn überhaupt am Telefon, weil dann sehen die Menschen nicht, wie sich nicht nur mein Gesicht zu einem großen Fragezeichen verzieht, sondern mein ganzer Körper eine Grimasse schneidet. Kaffee. Ist. Mir. Egal. Kaffee ist ein dunkelschwarzes Gebräu, das ich am Morgen mit einem Schuss Milch versehe und dann gegen schlimmen Morgendurst in mich hineinkippe. Ob dieses Gebräu mit Koffein ist oder ohne ist mir egal, ob das Gebräu aus Kaffeebohnen, Röstdinkel oder Berberitzen gebrüht ist, ebenfalls. Entsprechend sind Menschen, die über Crema dozieren und Röstaromen, die Mahlgrade berechnen und Brühtemperatur mir höchst suspekt, und am allersuspektesten sind sie mir, wenn sie plötzlich „Barista“ heißen und Heißgetränke nicht mehr ausschenken können, ohne vorher mit Milchschaum (pfui deifi) stundenlang dadaistische Gemälde turmhoch in Tassen zu kritzeln, so dass man sich mit der Nase durch ein Schaumtier wühlen und anschließend sakrisch den Mund verbrennen muss und dafür hernach fünf Euro zahlen soll, wo es das wesentlich angenehmere Erlebnis doch heut Morgen erst für umgerechnet 53 Pfennig daheim gegeben hat. Also nein, ich möchte mich nicht auf einen Kaffee treffen und dabei von einem ausgefuchsten Betriebswirtschaftler erklärt bekommen, dass das, was ich seit 35 Jahren im Campingurlaub mache, plötzlich nur noch in Kupferkesselchen möglich sein und 17 Euro kosten soll: Heißes Wasser auf Pulver gießen und unten kommt ein Kaffee raus – ein Wunder! Ich hab alles Gerät daheim: French Press (fürs Pulver zwischen den Zähnen), Bialetti (für wenn mal viele Gäste da sind … nicht), Senseo (für weiß ich nicht) sowie die beste aller Filtermaschinen, die so alt ist wie ich und exakt das tut, was ich wünsche. Tat. Denn der Mann hat sich einen Wunsch erfunden und den nun endlich auch erfüllt. Seit kurzem besitzen wir darum keine Küchenarbeitsplatte mehr. Stattdessen einen Vollautomaten, der nicht nur allen Platz, sondern auch meine volle Aufmerksamkeit mehr beansprucht, als es jeder Säugling könnte: Füttere mich! Leere mich! Tränke mich! Reinige mich! schreit er unablässig in mein Tagwerk hinein, doch Hauptsache, der Mann ist selig. Und ich? Hab prophylaktisch Angst vor Fachgesprächen, Ausflügen zu Röstereien und Barista-Seminaren. Da würde ich mich dann gerne treffen. Ihr könnt ja Kaffee trinken.

Freitag, 5. April 2024

Fränkischer Wein

Hosianna, Urbi, Orbi und Allmächt, habemus Schokonest im Garten vergessen!: Ostern ist durchdrungen von allerlei christlich-heiligen Ausrufen. Doch nachdem das Fest der größten Freude nun vorbei ist, können wir uns getrost wieder dem fränkischen Mumpfl-Alltag zuwenden und damit auch den zahlreichen Schönheiten, die er für uns bereithält: Brunzkundl, Rindsbimbl, Gsichtsgrapfm, Zwiderwurzn, Greinmeicherla – nicht nur die Wege des Herrn sind unergründlich, die der fränkischen Schimpfwörter sind es auch, und Zugezogene, Besuchende oder nachlässig sozialisierte Bürgerinnen und Bürger tun sich oftmals schwer, die hinter zugepressten Zähnen hervorgekauten oder aus verkniffen nach unten gezogenen Mundwinkeln gespienen Streicheleinheiten zu verstehen – oder sie gar nachzuformen. So wie mit jeder anderen Fremdsprache auch hilft es ja wenig, zwar die Buchstabenfolge theoretisch mit Sinn befüllt zu wissen, praktisch aber keine Ahnung zu haben, wie die dazugehörigen Laute zustande kommen sollen. Weil selbst für ein dahingeradebrechtes „Schönnösähpa parleh lö frongzäh“ oder „Ei känt not so gut spiehk ze inglisch“ bedarf es wenigstens eines phonetischen Grundverständnisses. Andernfalls kann es passieren, dass du morgen mit zornesrotem Kopf dein impertinentes Gegenüber einmal so richtig bodenständig zurechtweisen willst, dieses jedoch statt vor Furcht zu zucken sich lediglich vor Lachen krümmt. Wie machen wir das jetzt? Ganz einfach: saufen. Wein, bitteschön. Das empfehle ich seit Jahren allen, die die mittelfränkische Sprache lernen wollen. Allem voran steht hier der günstige Nebeneffekt, dass mit jedem feinen Schlückchen eine gewisse Lockerung der Zunge einhergeht, und die brauchen wir nämlichst zur Formung des im Fränkischen unerlässlichen „Prälabialen Waffel-L“s, das wir gemeinsam in einer Aufwärmphase erlernen und mit der Zunge in rascher Abfolge abwechselnd Nasenspitze und seitlichen Amorbogen berühren. Inspirationshilfe: Giraffen beim Fressen beobachten. Um jetzt die lautliche Schönheit des Idioms zu erkunden und später elegant aus dem Effeff an „Brillnschadulln“, „Dischdennisbladdnä“ oder „Rindsbulliong“ zu brillieren, gurgeln wir im Anschluss Rebsorten durch den Mundraum (ggfs. auch außerhalb desselben, s. „L“-Laut). Wichtig ist hierbei, sich möglichst auf südländisches, vorzugsweise italienisches Trinkgut zu fokussieren und ausnahmsweise vom heimischen Erzeugnis Abstand zu nehmen, obgleich ein „Riesling“ für den Anfang schon auch taugt. Gemeinsam rollen, donnern und verschlucken wir uns dann an der unvergleichlichen Ästhetik der Konsonantenfolgen und erlangen so nach kurzer Zeit hervorragende Sprachkompetenz. Und jetzt alle: Mondebuldschano. Binohgridschio. Riodscha. Wallbollidschalla. Brimidifo. Baddolino. Dschiandi … Klappt’s? Dann auf! 

Freitag, 22. März 2024

Frühlingserwachen

 Servus, Grüezi und hallo miteinander, es ist Freitag, der 22. März und wir haben gefälligst überbordend gute Laune, weil obwohl erst seit zwei Tagen offiziell Frühling ist, gab es zwischen Eissturm und Regenguss bestimmt schon, Klimawandel sei Dank, zweimal drei Stunden Frühling, in die wir alles hineinpressen konnten, worauf wir seit Wochen hufescharrend warten: Angrillen, Anradeln, Anwandern, Anzapfen, Ankontemplieren und Ankopul… Naja. Manche von uns haben womöglich auch die Gelegenheit für die schönste aller Frühlingsbeschäftigungen genutzt, nämlich das Anfensterputzen oder Anautowaschanlagenbesuchen und sich hier und da vielleicht über kleine bis mittelgroße, warmbraune Batzerl gewundert, die mal vereinzelt, mal in größerer Häufung auftauchen und sich einer jeden Reinigung aufs Äußerste widersetzen. „Was mag denn das nur sein?“ denkt ihr euch und verliert euch dann sogleich im Anblick der erwachenden Natur, die blüht und ausschlägt und macht und tut, dass es euch im Herzlein juckt und in der Nase auch, haaaaaaaatschiiii!, doch was kümmert uns das, die Welt ist voller Liebe. „O MEIN GOTT schau mal ein MARIENKÄFER!!“ kreischt man glücklich auf und sieht dem Tierchen verzückt dabei zu, wie es müde vom Winter und schwach in den Beinchen vergebens versucht, die zerknitterten Flügel zu spreizen, tänzeln respektvoll um die ersten Ameisenstraße („Wahnsinn, was die tragen können!“) herum, bevor wir ihnen in wenigen Wochen mit Verve und Backpulver den Garaus machen, klauben behutsam niedlich bepelzte Raupen aus der Nachmittagsschorle, tragen Schnecken über die Straße („Ja wo willst du denn hin, du kleine Maus? Na wahrscheinlich in die andere Richtung, dann haste jetzt Pech gehabt.“) und spüren Schmetterlinge im Bauch beim Anblick erster freilebender Artgenossen. Und zu guter Letzt und allervorderst werden wir bewusstlos vor Glück, sobald wir auch nur einer einzigen Biene ersichtig werden. Denn wir wissen: Bienen sind gut. Bienen machen Honig und retten die Welt, sie stechen nicht oder nur wenn man sie sehr ärgert. Und Bienen sind superschlau. Weil die Bienen so superschlau sind, bleiben sie über den Winter ganz artig und eng aneinandergekuschelt in ihrem Nest und warten im Gegensatz zum depperten Menschen, der Schneeschuhwandern geht und friert, dort auf den Frühling. Ist der da und wärmt das Nest, wachen die Bienen auf und begeben sich schnurstracks auf einen „Reinigungsflug“. Und hierzu lesen wir: „Sie koten [im Bienenstock] jedoch nicht ab, da das zum Beispiel die Übertragung von Krankheiten begünstigen würde. So sammelt jede einzelne Biene ihren Kot über die Monate in einer Kotblase, die bis zu 80% des Hinterleibs ausmachen kann. Im Frühjahr verspüren Honigbienen nun das dringende Bedürfnis, sich zu erleichtern, was im Reinigungsflug umgesetzt wird.“ Süß, gell? 

Freitag, 15. März 2024

Apricot Desire

 Was haben weiße Wäsche und ein rotes T-Shirt gemeinsam? Richtig: nichts, und man ist tunlichst darin beraten, dass das auch so bleibt. Bis vor kurzem hätte ich die gleiche Antwort auch auf die Frage „Was haben du und die Farbe Rot gemeinsam?“ gegeben, aber weil Zeiten und Wunder geschehen oder auch irgendein magischer Prozess, den Frauen meiner Sorte zwangsweise durchlaufen und an dessen Ende sie knallfarbene Gewänder, teure Bequemschuhe, flippige Kurzhaarfrisuren und ausgefallenen Signalschmuck tragen, hat sich hier in jüngster Vergangenheit eine Änderung vollzogen. „Es muss mal bisschen Farbe an dich“ hatte ja vergangenen Herbst die Freundin schon gemaßregelt, und der Satz pingpongte im leeren Raum zwischen meinen Ohren hin und her und schwoll bei jedem Aufprall weiter an, bis ich es nicht mehr aushielt und ins Schminkegeschäft lief, wo ich mir unter wie sich dann herausstellte schmeichelhafter Innenbeleuchtung rote Farbe für die Lippen als winziges Zugeständnis zur derzeit favorisierten Natürlichkeit erstand. „Mit dem sauteuren Lippenstift seh ich aus als hätt ich vorhin ordentlich Bolognese gefressen und danach den Waschlappen vergessen“ schrieb ich der Freundin und brauchte ein bisschen, um mich mit dem neuen Jokermund im Spiegel anzufreunden. Rot ist halt auch nicht gleich Rot. „Watermelon Dream“ steht auf dem einen, „Apricot Desire“ auf dem anderen Farbstift, und weil ich selbst eher in Kategorien wie hell-, dunkel- und vielleicht noch knallrot denke, hab ich grad einmal die Farblehre auf- und schnell wieder zugeschlagen, weil dort zu lesen ist, dass es circa 54390 Rots gibt, eins unaussprechlicher als das andere … Animiert vom neuen Gesichtssignal hat jemand anders seine Chance gewittert, meine tiefe Abneigung gegen rote Kleidungsstücke nach über 40 Jahren endlich zu überwinden, und Erbvorschuss in Form von roten teuren Jacken über mich ausgeschüttet wie einst der Wunschbaum Glitzerkleider überm Aschenputtel – nur dass ich kein bisschen am Baum gerüttelt hatte. „Endlich siehst du ein, wie toll Rot zu dir passt, Tochter“, sprach der Baum, stellte sich taub für meine Widerworte und verwandelte mich in eine Christbaumkugel. Derart gebrochen schleppte ich mich also letzte Woche in ein Geschäft und sah mir dabei zu, wie ich ohne Zwang und aus vermeintlich freiem Willen erst ein zartrotweißgestreiftes und schließlich ein weithin leuchtend orangerotes Shirt nicht nur in meinen Besitz überführte, sondern bei nächster Gelegenheit sogar samt Bolognesemund in die Öffentlichkeit trug. Und das Schlimmste: mich dabei pudelwohl fühlte. Bald folgt, ich ahne es, die dicke Holzperlenkette. Und jetzt aber erstmal die Frage: Wie wäscht man rote Kleidung in einem Haushalt voller Weißschwarzgrau? Mit, soviel ist klar, den weißen Sachen lieber nicht.

Freitag, 8. März 2024

Mailbox

 Ich stehe nicht mit supervielen Sachen auf Kriegsfuß. Ok: Parodontoseprophylaxe, unfreundliche Menschen, Steuernachzahlungsanmahnungen – alles nicht schön, aber nichts, was mich wirklich zur weißglühenden Verzweiflung bringt. Ganz anders hingegen meine Mailbox. „Sie haben. Acht. Neue. Nachrichten.“ hat sie mir grade mitgeteilt, und mit Staunen bin ich hinabgestiegen in die Tiefen des digitalen Anrufbeantworters um zu erfahren, wer da eigentlich seit wie lange schon auf einen Rückruf wartet, die Technik aber beschlossen hat, es handele sich nicht um dringliche Angelegenheiten und mich deshalb schlichtweg nicht informiert hat. Irgendwie finde ich das gut: Wenigstens eine, die sich um mein Seelenheil und Stresslevel sorgt, sich denkt „Wenn’s wirklich wichtig war, ruft der Mensch schon nochmal an.“ und basta. Irgendwie aber auch nicht, weil nach vier Wochen löschen sich Nachrichten automatisch, und wenn ich sie nicht zufällig abgehört habe, denkt womöglich irgendwo ein Mensch völlig zu Unrecht, ich würd ihn ignorieren, mich nicht interessieren, nicht lieben – und dass dann vielleicht ein Herzerl bricht, das wär mir ganz und gar nicht recht. Wie’s anders funktionieren kann, hat mir vor ein paar Monaten der Anrufbeantworter meines alten Festnetztelefons gezeigt, das seit Jahren nicht mehr in Benutzung ist und das ich einmal an den Strom steckte, um zu sehen, ob’s denn wohl noch funktionieren würde. Nebst vieler Lichteln blinkte auch das der AB-Station und zeigte rotleuchtend eine Zahl. Nanu, dacht ich, was hat’s denn da noch für alte Nachrichten? Und spielte sie ab. Kurz darauf war ich in Tränen aufgelöst und sicher, dass der AB niemals weggeworfen werden darf, enthält er doch gewissermaßen Botschaften aus einer Zeit, die viel zu lange schon Vergangenheit ist. Jahr für Jahr zum Geburtstag haben meine Großeltern angerufen – auf Festnetz statt dem teuren Handy. Jahr für Jahr haben sie mich darum nicht erreicht, dafür aber unerschütterlich Botschaften hinterlassen, die ich nun eine nach der anderen wiederfand. Stets zu zweit am Telefon formulieren sie ihre Glückwünsche aufs Band, mal singend, mal dichtend. Stets eingeleitet vom liebsten Kosenamen, mit dem der Großvater mich von klein auf zu sich rief und den ich heut noch hören kann als hätt er’s gestern erst gesagt. Und wie mir von Jahr zu Jahr Glück, Gesundheit und Gottes Segen beschieden wird, so werden von Jahr zu Jahr die Stimmen älter. Schwächer. Die Lieder dünner, die Worte undeutlicher, die Hand zittriger. „Keine. Neuen. Nachrichten“, sagt der AB irgendwann, und ich weiß, dass nichts mehr kommen wird, nie mehr. Zum Geburtstag hör ich mir die alten Nachrichten an. Ob Gottes Segen so noch funktioniert, weiß ich nicht. Der der Großeltern tut es allemal. Gelöscht? Wird hier gar nichts.

Freitag, 1. März 2024

Saustall

 Letzte Woche hab ich außerplanmäßig eine Freundin heimgesucht. Nicht so richtig spontan, aber halt auch nicht richtig ausgemacht, sondern so „Du daheim? Dann ich gleich da.“ Das war nötig, denn zuvor hatte ich meinem Wohnwagen einen Kontrollbesuch erstattet, um ihn auf Winterwetterschäden zu inspizieren und dabei entdeckt, dass es sich über den Winter eine Untermieterin bei mir bequem gemacht und mir eine Nachricht aus schwarzen Knödeln und zerfetztem Polsterstoff hinterlassen hatte – Maushalt lässt grüßen. Mein Zorn war groß, sodass ich einen Wald anschreien und hierbei die Freundin um Assistenz bitten wollte. Die sprach: „Klar total gerne, aber bei mir ist üüüü-ber-haupt-nicht aufgeräumt.“ Ein Satz, den man oft hört, noch öfter selber sagt und ihm darob wenig Glauben schenkt. Ich fuhr also hinaus aufs Land, betrat das Eigenheim und war sogleich entzückt, begrüßte mich doch an der Tür nicht nur die Freundin, sondern mit ihr ein veritabler Saustall. „Mei, da schaut’s aber aus“, hab ich klug bemerkt und mir durch Pflanztöpfe und Wäscheberge, Kartonagen und Schuhsammlungen einen Weg zur Küche gebahnt, wo ich vorsichtig und elegant vorbei an Geschirrhaufen und Glastürmen griff – Kitchen Impossible! – und mir ein sauberes Trinkgefäß hervorfischte. „Hab ich doch gesagt!“, rief die Freundin von irgendwoher durch den Saustall, und da hatte ich sie sehr lieb. Denn normal ist das nicht. Normalerweise räumen Menschen blitzartig auf, sobald sich ein Besuch (ich) androht. Selbst in den paar Sekunden, die es dauert, bis die Gästin nach dem Klingeln die Tür geöffnet und die mal mehr, mal wenigeren Meter zur Schwelle überwunden hat, rasen sie auf Feuerkufen durch die Behausung, stopfen Geschirr in die Spüle und Dreckwäsche unters Bett, wedeln im Vorbeirennen mit dem Ärmel den gröbsten Staub vom Mobiliar, brausen mit der linken Hand übers Waschbecken und reißen mit der rechten alle Fenster auf. Betritt der Besuch (ich) dann die Gemächer, empfangen diese ihn picobello und blitzsauber, wohlgestaltet und wohlriechend und in keinster Weise Zeugnis davon ablegend, wie groß das Ausmaß des Chaos‘ noch wenige Minuten zuvor in Wahrheit war. Der Besuch (ich) sagt dann „Ist doch wie immer alles tutti“, und der Mensch murmelt „Ach naja …“ und schließt dabei die Augen nicht wirklich vor Verlegenheit, sondern um nicht dem unterm Bett hervorwinkenden Wäscheberg zurückzuzwinkern. Später geht die Gästin wieder und denkt sich, dass es doch nicht wahr sein kann, dass alle Leute immerzu so blitzsauber wohnen, nur ich selbst hab ständig Saustall, und es überkommt mich eine große Traurigkeit und Trübsal ob der eigenen Lebensunfähigkeit plus Zorn auf den Mitbewohner, der ja mindestens halbschuld ist, vermutlich eher mehr … Die Maus hat das übrigens anders gelöst und von innen den Wohnwagen verriegelt. Jetzt komm ich nicht mehr rein. Auch recht.

Freitag, 23. Februar 2024

Flanking for Immunsystem

 Es gibt zahlreiche wunderbare Elternsprüche, die über Generationen hinweg weitervererbt werden und ihre Aktualität niemals absolut verlieren, sondern sich lediglich die Bedeutsamkeit gemäß des Hermeneutischen Zirkels über den individuellen Verlauf des Lebens hinweg ändert: Der Spruch bleibt der selbe, nur ich versteh ihn je nach zurückgelegtem Lebensweg und dabei angeeigneten Erfahrungen anders. Zu diesen Sprüchen gehört „Manchmal scheint es, als wär' das ganze Jahr lang Fasching“, womit Elternpersonen seit mutmaßlich Jahrhunderten ihren Unmut über die Klamottenwahl des Nachwuchses zum Ausdruck bringen und finden, dass extravagantes Beinkleid und Frisur höchstens Mittel karnevalistischen und darob saisonal beschränkten Gebarens sein sollte statt Alltagskleidung. Je nach Alter frustriert einen dieser Satz, um später zu erbosen („Jetzt erst recht!“), woraufhin eine lange Phase folgt, in der man den Ausspruch gänzlich vergisst bis zu exakt dem Tag, an dem man Menschen in badewannenförmigen Gummistiefeln mit Plateau-Absatz und Strasssteinchen nebst Hochwasser-Schlaghose, Puffärmelchen aus Pannesamt und „Wir hatten ja nüscht“-Topffrisur erst auf der Straße und später als Schwarm im einschlägigen Café entdeckt. Dann hört man jemanden verächtlich brummeln „Manchmal scheint es, als wär' das ganze Jahr lang Fasching“, um kurz darauf zu erkennen, dass dieser jemand man selbst war, um sich fortan in Schmerzen zu winden und nicht zu wissen, ob diese Schmerzen herrühren von einem schier unerträglichen Maß an Fremdscham, dem gnadenlosen Bewusstsein der eigenen Unmode oder schlicht dem Umstand geschuldet sind, ganz offenbar um 25 Jahre gealtert zu sein und unversehens im genau richtigen Lebensabschnitt gelandet zu sein, um den vormals so verhassten Elternspruch höchstselbst voll Inbrunst vergleichsweise laut auszusprechen. Nach diesem literaturwissenschaftlich-philosophischen Exkurs kommen wir jetzt zum eigentlichen Thema der Woche, nämlich „Flanking“. „Nicht schon wieder, das ist doch wirklich seit Jahren durchgeömmelt“? Ist es nicht, denn just vergangene Woche habe ich, dem Puls der Zeit stets zuverlässig um einen Herzschlag hinterherjuckelnd, erfahren, was der wahre Grund fürs Eisbein ist. Ich (bis zur Nase verhüllte Daunenraupe, dicker Schal, lange Unterhose, Jeans und gefütterte Stiefel leider ohne Heizsohlen) traf die Freundin, die zum leichten Wollmäntelchen modische Sneaker und eine Hose trug, die den Gesetzen der Physik trotzte und für die man vor 30 Jahren oder so wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses eingesperrt worden wäre: durch Nähte zusammengehaltene Löcher, mehr Netz als Jeans. Ich: „Sag mal, bist du irr?“ Sie: „Na wieso, das ist gut fürs Immunsystem.“ Da saß ich baff im Eiswind und grüble seitdem. Ein Ergebnis steht bislang noch aus. Entschuldigung!